Schutzkonzept für interpersonale Gewalt
1 Vorwort
Der Turnverein Rheindahlen 1883 e.V. (im weiteren TVR genannt) ist ein Verein, in dem seit über 140 Jahren gemeinsam Sport getrieben wird. Dabei spielt es keine Rolle, wo jemand herkommt, welcher Religion er angehört oder welche sexuelle Neigung er hat. Wir sind ein weltoffener Verein, und heißen jeden in unseren Reihen willkommen. Dies gilt so lange, wie sich an Gesetze und Regeln gehalten wird.
Wir als TVR lehnen Gewalt in jeglicher Form ab. Jemand der Gewalt, in welcher Form auch immer, an anderen ausübt hat keinen Platz in unserem Verein.
In den letzten Jahren sind immer wieder Vorfälle von sexuellem Missbrauch (siehe Anhang A: Definitionen) gegenüber Kindern und Jugendlichen in Sportvereinen, aber auch in Schulen an die Öffentlichkeit gekommen. Diese Berichte sind erschütternd und beängstigend.
Aus diesem Grund hat das deutsche Olympische Komitee alle Vereine damit beauftragt, ein Konzept gegen interpersonale Gewalt (siehe Anhang A: Definitionen) in Vereinen zu erstellen. Um einen Beitrag dazu zu leisten, dass Kinder und Jugendliche dieser Gewalt weniger ausgesetzt werden, kommt der TVR diesem Auftrag nach.
2 Zielsetzung
Interpersonale Gewalt kann in jedem gesellschaftlichen Bereich stattfinden, somit auch in Sportvereinen. Um die Kinder und Jugendlichen bestmöglich zu schützen, möchte der TVR seine haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter/innen für das Thema sensibilisieren.
Der TVR möchte aufklären, wie Signale für interpersonale Gewalt festgestellt und Gefahrensituationen vermieden werden können. Darüber hinaus auch Handlungsstrategien bereitstellen, die im Konfliktfall anzuwenden sind.
Im Ergebnis möchte der Verein, dass bestehende Verdachtsfälle interpersonaler Gewalt angesprochen werden. Zu Schweigen schützt nur die Täter/-innen und hilft nicht den Opfern. Wir hoffen zudem, dass die nachfolgend beschriebenen präventiven Maßnahmen Erfolg haben und somit idealerweise keine Fälle interpersonaler Gewalt vorkommen.
3 Risikoanalyse im Vereinssport
Die Täter/-innen suchen bei den Kindern und Jugendlichen nach Verletzlichkeit und Schwächen, und nutzen diese als Anknüpfungspunkte. Im Sport können bestimmte Faktoren interpersonale Gewalt begünstigen. In den einzelnen Sportarten gibt es verschiedene Risikofelder mit unterschiedlich hohem Risiko. Es sollen unterschiedliche Situationen betrachtet und das Risiko hinsichtlich auslösender Faktoren für interpersonale Gefährdung von Kindern und Jugendlichen beurteilt werden.
Im Weiteren werden die Risikofelder Körperkontakt, Infrastruktur, das besondere Abhängigkeitsverhältnis und interne Abläufe im Detail betrachtet. Bei Bedarf kann eine individuelle Risikoanalyse weiterer Risikofelder oder einzelner Abteilungen zusammen mit der Beauftragten für Prävention für interpersonale Gewalt erarbeitet werden.
3.1 Körperkontakt
In fast allen Sportarten kommt es zu Körperkontakt zwischen den Athleten/-innen oder zwischen Trainer/-in und Athlet/-in. Körperlicher Kontakt kann in vielen Situationen als Berührung mit sexuellem Hintergrund interpretiert werden oder mit Absicht erfolgen. In einigen Sportarten ist Körperkontakt in Form von Hilfestellung nötig, um die Sportart sicher ausführen zu können. Zudem wird in einigen Sportarten physiotherapeutisch behandelt. Massagen und andere therapeutische Behandlungen sind im Sport angewandte Praxis und ohne Körperkontakt nicht möglich.
Auch die durch Siege und Niederlagen ausgelösten Emotionen können in Körperkontakt münden, beispielsweise in Form des gemeinschaftlichen Jubelns über den errungenen Erfolg.
3.2 Infrastruktur
Im Bereich der Infrastruktur gibt es einige Faktoren, die interpersonale Gewalt begünstigen. In den Sporthallen ziehen sich die Athleten/-innen meist in Sammelumkleiden um. Die Duschen sind nicht selten ohne Trennwände, sodass mit mehreren zusammen geduscht wird. Jede/r Athlet/-in hat heutzutage in der Regel ein Handy, das sie/er auch mit zum Sport bringt. Es gibt zudem kaum noch Handys, die keine integrierte Kamera besitzen. Das Benutzen von Handys in den Umkleidekabinen birgt das Risiko, dass Fotos oder Videos angefertigt werden und über soziale Medien verbreitet werden.
In vielen Sportarten finden Trainingscamps oder andere sportliche Events statt, bei denen die Athleten/‑innen in Gemeinschaftsunterkünften oder gemeinsam mit vielen weiteren Personen in einem Klassenraum nah nebeneinander schlafen. Die räumliche Nähe der Beteiligten und die Nachtstunden, in denen eine unbeobachtete Annäherung möglich ist, erhöhen das Risiko.
Die Anreise zu den Sportstätten stellt eine weitere Gefährdung dar, sobald das Kind oder die/der Jugendliche allein mit der/dem potenziellen Täter/-in mitfahren.
3.3 Besondere Abhängigkeitsverhältnisse
Hierarchische Machtstrukturen im Sport erhöhen das Risiko des Schweigens.
Trainern/-innen beurteilen die sportlichen Leistungen und entscheiden darüber, ob man in der Mannschaft eingesetzt wird oder nicht. Angst vor negativen Entscheidungen kann ein wesentlicher Faktor dafür sein, dass Kinder und Jugendliche Belästigungen verschweigen. Dies verdeutlicht insbesondere das Abhängigkeitsverhältnis von Kindern und Jugendlichen zu den Trainern/-innen.
Im Leistungssport ist die Anzahl der potentiellen Situationen höher, die einen Übergriff begünstigen. Athleten/-innen und Trainer/-innen verbringen häufig viele Stunden in der Woche zusammen. Die Athleten/-innen wollen oft nicht riskieren, ihren sportlichen Status zu verlieren. Beim Einzeltraining würde dies in einem Verdachtsfall bedeuten, dass das Opfer Angst hat die Weiterführung des Trainings zu gefährden. Das Abhängigkeitsverhältnis wird noch deutlicher, wenn die erbrachten Leistungen in Verbindung mit der Mannschaftsaufstellung stehen und dies von Tätern/-innen ausgenutzt wird.
3.4 Verwaltungsabläufe im Verein
Die Arbeit in einem Sportverein, besonders in der Sportpraxis, wird zum Großteil ehrenamtlich ausgeführt, da hierfür meist nur eine geringe Entlohnung in Form einer Aufwandsentschädigung gezahlt werden kann. Die Sportvereine sind auf ehrenamtliches Engagement angewiesen, vor allem im Bereich des Breitensports. Meist wird jedoch aufgrund dessen kein standardisiertes Bewerbungsverfahren durchgeführt oder nach Qualifikationen und Referenzen gefragt.
Potenzielle Täter/-innen sehen keinen Anreiz in einer hohen Entlohnung. Sie suchen bewusst den Freizeitbereich, in dem viel mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet wird. Um diese Täter zu identifizieren und zu stoppen, müssen Qualitätsstandards bei der Auswahl und Einstellung von Personal beachtet werden.
4 Konzept zum Schutz vor interpersonaler Gewalt
4.1 Leitbild
Der TVR folgt einer „Top-Down-Strategie“. Der Vorstand positioniert sich klar gegen interpersonale Gewalt und kommuniziert dieses Credo nach innen und außen. Das Leitbild lautet:
„Der TVR verurteilt jegliche Form von Gewalt, unabhängig davon, ob sie körperlicher, seelischer, sexualisierter Art oder Vernachlässigung ist“.
4.2 Benennung einer/s Präventionsbeauftragten
Der TVR wird eine/n Präventionsbeauftragten benennen, an die/den sich alle Personen wenden können, die sich in welcher Form auch immer der interpersonalen Gewalt ausgesetzt fühlen. Aus Neutralitätsgründen gehört die/der Präventionsbeauftragte nicht dem Vorstand an. Informationen zur Kontaktaufnahme mit dem/der Präventionsbeauftragten werden auf der Homepage bereitgestellt.
Um die Möglichkeit zu geben Anonym zu bleiben wird der TVR ebenso einen Kummerkasten einrichten, in den Sorgen und Mitteilungen eingeworfen werden können.
4.3 Ehrenkodex und Verhaltensregeln
Jede/r Trainer/-in muss einen Ehrenkodex (siehe Anhang B: TVR - Ehrenkodex) unterzeichnen. Mit der Unterschrift des Ehrenkodex verpflichten sie sich, in Trainingseinheiten und Übungsstunden mit Kindern und Jugendlichen die ethischen und moralischen Grundsätze einzuhalten. Das Original wird digital oder in Papierform in der Geschäftsstelle verwahrt.
Die Verhaltensregeln gelten in allen Sportstätten in denen Sportaktivitäten des TVR stattfinden und auf allen Veranstaltungen, die vom Verein ausgerichtet werden.
Die Unterschrift unter dem Ehrenkodex und die Verhaltensregeln an sich, können interpersonale Übergriffe nicht verhindern. Sie sollen vielmehr ein Zeichen in Richtung potenzieller Täter/-innen sein, wie der TVR sich zu diesem Thema positioniert und dass die Aufmerksamkeit bezüglich dieses Themas hoch ist.
4.4 Führungszeugnis
Jede/r Mitarbeiter/-in muss bei Antritt seiner Tätigkeit beim TVR, ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis vorlegen. Dieses darf nicht älter als drei Monate sein. Bei Verdachtsfällen behält sich der TVR vor, ein weiteres Zeugnis vorgelegt zu bekommen, dass ebenfalls nicht älter als 3 Monate sein darf.
4.5 Einstellungsgespräche
Der TVR sieht sich in der Verantwortung, im Vorfeld möglichst viel über die/den neuen Bewerber/-in in Erfahrung zu bringen. Die Abteilungsleiter/-innen der einzelnen Sportarten sind hier ebenfalls in der Verantwortung, Gespräche mit dem/den Bewerber/-innen zu führen, vor allem wenn sie bisher noch kein Mitglied im TVR waren und dem Verein daher vollkommen unbekannt sind. Inhalte der Gespräche sollten sein:
· Prüfung von Qualifikationen und Lebenslauf,
· Eruieren von Motivation und Erfahrung,
· Herausgabe von Informationen zu den Standards zur Abschreckung (Ehrenkodex),
· Erläuterung der Sensibilität für die Problematik interpersonaler Gewalt im Verein und
· Einarbeitung durch eine/n Tutor/-in oder Ansprechpartner/-in der Abteilung.
4.6 Partizipation
Kinder und Jugendliche sollen in Entscheidungen einbezogen werden, die sie betreffen. Dadurch wird die eigene Position der Kinder und Jugendlichen gestärkt und das Machtgefälle zwischen den Erwachsenen und Minderjährigen wird verringert. Unter Beteiligung von Kindern und Jugendlichen, aber auch der Eltern, sollten Verhaltensregeln für den Sportverein abgestimmt werden.
Der TVR schlägt Verhaltensregeln für das Vereinsleben vor, die einen flexiblen Charakter haben und so jederzeit ergänzt oder verändert werden können. Die Regeln sind im Anhang C: TVR – Regeln zur Bekämpfung von interpersonaler Gewalt beschrieben.
4.7 Notfallplan
Emotionen wie Angst, Hilflosigkeit, Wut oder auch Ohnmacht können bei einer Konfrontation mit interpersonaler Gewalt ausgelöst werden. Die Trainer/-innen und Betreuer/-innen sollten durch den Verein über die Garantenpflicht (siehe Anhang A: Definitionen) in Kenntnis gesetzt werden, die die Verantwortlichen dazu verpflichtet bei einem Verdachtsfall handeln zu müssen. Es besteht keine Anzeigepflicht den Strafverfolgungsbehörden gegenüber, es besteht jedoch Handlungspflicht. Besonders wichtig ist es also, bei einem Verdachtsfall konkrete Schritte im Vorfeld abgestimmt zu haben, an denen man sich orientieren kann. Durch kompetente und durchdachte Herangehensweise werden so die Opfer bestmöglich geschützt. Wenn man einen Verdacht hat, sollte man sich nicht dazu hinreißen lassen, den Fall aufdecken zu wollen. Ermittlungs- und Aufklärungsarbeit ist Sache der Polizei und der Staatsanwaltschaft. Deswegen sollte man auf ein „Verhör“ der Person verzichten und ebenso die/den „Täter/-in“ nicht zur Rede stellen. Außerdem sollten die Verdachtsfälle nicht an eine Vielzahl der Trainer/- innen weitergegeben werden, vor allem nicht über die Abteilung oder Gruppe hinaus. Dies schafft nur Unsicherheit und fördert Gerüchte. Jede Maßnahme sollte mit der betroffenen Person abgesprochen werden.
Durch die/den Präventionsbeauftragte/n wurde in Abstimmung mit dem Vorstand des TVR ein Notfallplan entworfen, der den hauptamtlichen und ehrenamtlichen Mitarbeiter/-innen an die Hand gegeben werden soll. Dieser soll die Mitarbeiter/-innen ermutigen, nicht aus Unsicherheit wegzuschauen und bei einem Verdachtsfall Handlungssicherheit geben.
Notfallplan
1. Dokumentation der Feststellungen, Zeitpunkt, Art der Feststellungen bzw. wörtlicher Inhalt der Information (ohne Interpretation und Nachfrage).
2. Zuhören und Glauben schenken.
3. Vertrauen schenken, dass alle weiteren Schritte nur in Absprache erfolgen (z.B. Information an die Eltern), nicht „über den Kopf“ der Kinder und Jugendlichen entscheiden, die Kinder und Jugendlichen in alle Handlungsschritte einbinden.
4. Eigene Gefühlslage prüfen ggf. Entlastung bei den Präventionsbeauftragten des Vereins oder der Fachdienststelle.
5. Kontakt zur Ansprechpartnerin im Verein und Fachberatungsstellen vor Ort aufnehmen -Erstunterstützung.
6. Vorgehensplan erstellen unter Einbeziehung der/des Präventionsbeauftragten und unter Berücksichtigung der/des Betroffenen die Information an die Erziehungsberechtigten (wenn Sie nicht involviert sind) weiterzuleiten.
7. Information an den Vorstand oder Jugendvorstand weiterleiten.
8. Kontaktaufnahme Rechtsbeistand und Ermittlungsbehörden einschalten.
9. Unter Einbeziehung des Rechtsbeistandes, in Absprache mit der Fachdienststelle und ggf. der Erziehungsberechtigten muss entschieden werden, ob die Polizei oder Staatsanwaltschaft eingeschaltet werden müssen (Die Strafanzeige kann aufgrund des Strafverfolgungszwangs im Nachhinein nicht mehr zurückgenommen werden.).
10. Absprache und Informationen Eltern-Nebenklägervertreter (Info beim Weißen Ring) sicherstellen.
11. Vereinsmitglieder informieren.
12. Anonymität wahren und auf das laufende Verfahren hinweisen.
13. Intervention und Prävention ansprechen, um Vertrauen in die Jugendarbeit nicht zu verlieren (Anonymität und Persönlichkeitsrechte beachten).
14. Veröffentlichung und Pressearbeit müssen über den Vorstand betrieben werden.
5 Schlussbemerkung
Mit dem vorliegenden Konzept zur Prävention von interpersonaler Gewalt im TVR, möchte der Verein über den gesetzlich und fachverbandlich vorgeschriebenen Rahmen hinaus Präventionsarbeit im Kinderschutz leisten. Warum dies so wichtig ist, dürften die vorangegangenen Ausführungen hinreichend dargelegt haben. In der Hoffnung, dass sich keine respektive möglichst wenige begründete Verdachtsfälle im Verein ergeben, will der TVR künftig nach der Maxime handeln, dass jeder einzelne Fall, der durch das zusätzliche Engagement im Bereich des Kinder- und Jugendschutzes vor interpersonaler Gewalt aufgedeckt werden kann, das Engagement als solches rechtfertigt.
Als freier Träger der Jugendhilfe sind Sportvereine bereits per Definition in der Pflicht, der Jugend als einer ihrer wichtigsten Ziel- und Förderungsgruppe zu helfen. Diese Hilfe beginnt und endet dabei nicht damit, Kinder und Jugendliche zu möglichst großen sportlichen Erfolgen zu bringen oder sie in ihrer motorischen Entwicklung zu fördern. Vielmehr reicht die Verantwortung von Vereinsvertreter/-innen, Trainer/-innen und Betreuer/-innen in Sportvereinen auch tief in den sozialen Bereich hinein. Neben der Verbesserung gesundheitlicher, motorischer oder athletischer Aspekte, haben Sportvereine besonders im Kinder- und Jugendbereich ebenso die Aufgabe, durch das Vorlegen von Werten an der Erziehung von Kindern und Jugendlichen hin zu einem sozialen Menschen beizutragen.
Dem Konzept würde entgegenstehen, wenn Sportorganisationen die Ausübung von Gewalt – ganz gleich welcher Natur – gegenüber Kindern und Jugendlichen tolerieren oder billigend in Kauf nehmen ohne (selbstredend im Rahmen der eigenen Möglichkeiten) aktiv gegen sie vorzugehen.
Mit der Umsetzung des vorliegenden Konzeptes will der TVR weitere Schritte in die Aktivität bei der Bekämpfung von interpersonaler Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen gehen – in dem Wissen, dass die praktische Umsetzung aller Elemente des Konzeptes nur nach und nach erfolgen kann und es seine volle Wirkung erst mit dem Verlauf der nächsten Monate und Jahre wird entfalten können.
Anhang A: Definitionen
Interpersonale (interpersonelle) Gewalt
Unter dem Begriff „interpersonale Gewalt“ werden Formen psychischer, physischer und sexualisierter Gewalt (mit/ohne Kontakt) sowie der Vernachlässigung gefasst. Die einzelnen Formen der Gewalt werden im Folgenden erklärt und mit Beispielen erläutert.
Sexuelle Gewalt mit/ohne Körperkontakt
Sexuelle Gewalt ist jede sexuelle Handlung, die gegen den Willen an oder vor einer Person vorgenommen wird oder der die Person aufgrund einer körperlichen, seelischen, geistigen oder sprachlichen Unterlegenheit nicht wissentlich zustimmen kann. Dabei wird zwischen sexualisierter Gewalt mit und ohne Körperkontakt unterschieden.
Beispiele für sexuelle Gewalt ohne Körperkontakt sind:
o Wenn jemand sexistische Kommentare über das Aussehen oder die sexuelle Orientierung macht
o Wenn jemand unaufgefordert Nacktbilder oder anzügliche Nachrichten verschickt oder einfordert
o Wenn jemand gezwungen wird, sexuellen Handlungen zusehen zu müssen (Einwirkung von Kinderpornographie)
o Wenn Sportler/-innen nackt in der Kabine gefilmt oder fotografiert werden
Beispiele für sexuelle Gewalt mit Körperkontakt sind:
o Wenn jemand (Täter/-in) sexuelle Handlungen gegen den Willen von anderen vornimmt oder am Täter/in oder Dritten vornehmen lässt
o Wenn jemand nicht „Ja“ zum sexuellen Akt gesagt hat oder dazu gezwungen/ gedrängt wurde, „Ja“ zu sagen
Bezeichnet Gewalthandlungen, die dazu verwendet werden eine Person zu erniedrigen, zu bedrohen oder lächerlich zu machen. Sie stellen einen Angriff auf eine Person dar, um Macht und Kontrolle auszuüben:
o Wenn ein/e Sportler/-in beleidigt oder gemobbt wird
o Wenn jemandem immer wieder gesagt wird, dass er/sie nicht gut genug ist
o Wenn mit Rauswurf gedroht wird.
Z.B. „Mach’s so oder du brauchst nicht mehr zu kommen!“, „Heulen ist was für Pussies/ Schwuchteln/ Memmen/ Mädchen“, „Du kannst doch eh nichts!“, „Das bleibt unser Geheimnis.“, usw.
Ist eine gezielte Anwendung von Gewalt, die zu körperlichen Verletzungen führt oder das Potential dazu hat:
o Wenn ein/e Sportler/-in während oder außerhalb des Trainings geschubst oder geschlagen wird
o Wenn jemand zum Training oder Wettkampf unter Schmerzen gezwungen oder gedrängt wird
o Wenn ein/e Sportler/in zur Einnahme von leistungssteigernden Substanzen gezwungen wird
Z.B. Übermäßige körperliche Übungen als Strafe, körperliche Angriffe wie Schläge, Tritte, usw.
Ist das ständige und/oder wiederholte Unterlassen fürsorglichen Verhaltens durch verantwortliche Personen:
o Wenn ein/e Sportler/-in sich verletzt und nicht medizinisch versorgt wird
o Wenn Essen oder Trinken während des Trainings oder des Wettkampfs nicht erlaubt wird
o Wenn die Aufsichtspflicht verletzt wird.
Z.B. „Stell dich nicht so an“, „Da musst du durch“, links liegen lassen, nicht beachten, ignorieren.
Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen (§174 StGB)
Der § 174 StGB befasst sich mit dem sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen. Mit der Rechtsnorm werden Jugendliche unter 16 Jahre, die einer Person zur Erziehung, Ausbildung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut wurden, vor sexuellen Handlungen geschützt. Wenn Jugendliche in einem Obhut- oder Abhängigkeitsverhältnis sind, sind sie durch diese Norm bis zum 18. Lebensjahr geschützt. Wenn keine der genannten Abhängigkeiten bestehen, jedoch eine Zwangslage ausgenutzt oder Geld für sexuelle Handlungen bezahlt wird, schützt der §182 StGB vor dem sexuellen Missbrauch von Jugendlichen.
Auch Trainer/-innen und Betreuer/-innen in einem Sportverein zählen zum Personenkreis: „Person zur Erziehung, Ausbildung oder zur Betreuung in der Lebensführung“.
Die Täter/innen nutzen diese Machtposition aus, um eigene Bedürfnisse zu befriedigen. Schutzbefohlene (insb. Kinder) sind immer in der unterlegenden Position und können nicht zustimmen. Auch wenn das Kind sexuellen Handlungen zustimmt, ist ein Missbrauch vollendet.
Sexualisierte Gewalt vs. Sexuellem Missbrauch
In der Öffentlichkeit wird häufig von sexuellem Missbrauch oder von sexualisierter Gewalt gesprochen. Der Begriff „Missbrauch“ ist umstritten, da er den Eindruck erweckt, es gäbe einen „angemessenen Gebrauch“, also auch erlaubte sexuelle Handlungen an Schutzbefohlenen. Dieses wird jedoch lediglich von Tätern/-innen behauptet. Eine erlaubte Sexualität mit Kindern gibt es nicht. Aus diesem Grund wird immer häufiger von „sexualisierter Gewalt“ gesprochen. Der Begriff „sexualisierte Gewalt“ hat sich in den letzten Jahren in der Fachöffentlichkeit durchgesetzt und schließt Begriffe wie „sexuellen Missbrauch“ und „sexuellen Übergriff“ ein.
Von „Sexualisierter Gewalt“ wird immer dann gesprochen, wenn ein Erwachsener, ein Jugendlicher oder auch ein Kind ein Mädchen oder Jungen dazu benutzt, die eigenen sexuellen Bedürfnisse mittels Gewalt auszuleben. Dies kann gegen den Willen des Kindes und durch Worte, Gesten, Bilder oder Handlungen geschehen. Mal findet Körperkontakt statt, mal nicht. Der Begriff „Sexualisierte Gewalt“ verdeutlicht, dass bei den Taten Sexualität benutzt wird, um Gewalt auszuüben.
Garantenpflicht
Garantenpflicht bezeichnet im Strafrecht die Pflichten, dafür einzustehen, dass ein bestimmter tatbestandlicher Erfolg nicht eintritt (vergleiche zum deutschen Strafrecht § 13 StGB). Sie ist Voraussetzung für eine Strafbarkeit wegen Unterlassens, soweit es sich um ein sogenanntes unechtes Unterlassungsdelikt handelt.
Regeln zur Bekämpfung von interpersonaler Gewalt
1. Niemand wird zu einer Übung oder Haltung gezwungen. Während einer Prüfung werden die gegebenen Regeln beachtet.
2. Wir verzichten auf sexistische und gewalttätige Äußerungen.
3. Nutzung von Geräten u.a. zur Aufzeichnung von Bild und Ton sind im Vereinsbetrieb untersagt. Ausnahmen: Sie dienen der Pressearbeit im Verein und sind angekündigt. Aufnahmen zum Trainingszweck sind mit Sportlern/-innen abgestimmt und werden nach dem Training gelöscht.
4. Wir kündigen an, wenn es zu Hilfestellungen und Körperkontakt kommt und beobachten die Reaktionen unseres Gegenübers auf Körperkontakt und reagieren darauf.
5. Wenn Kinder getröstet werden müssen, wird durch den Erwachsenen gefragt, ob es für das Kind in Ordnung ist, wenn man es tröstet und in den Arm nimmt.
6. Das Anbringen von Wettkampfnummern oder das Richten von Kleidung wird, soweit möglich, von einem/r gleichgeschlechtlichem/n Trainer/-innen oder Sportler/-innen durchgeführt.
7. Aufsicht beim Umkleiden und Duschen sollten immer im Vier-Augen-Prinzip erfolgen.
8. Die/der Trainer/-in duscht nicht mit den Kindern und Jugendlichen.
9. Die Umkleidekabinen der Minderjährigen werden grundsätzlich nicht durch Erwachsene (Trainer/-innen oder Eltern) betreten. Sollte ein Betreten erforderlich sein (Aufsichtspflicht), sollte es durch eine gleichgeschlechtliche Person sein, die die Regel „Erst Anklopfen und die Kinder bitten sich etwas überzuziehen“ beachtet. Ausnahme: Sportangebote, in denen Eltern ihren Kindern notwendigerweise beim Umkleiden helfen müssen. Wenn vorhanden sollen Einzelkabinen verwendet werden.
10. Das Training mit Kindern wird nach Möglichkeit von zwei Trainer/-innen gegeben, um das „Vier-Augen-Prinzip“ zu wahren und die Aufsichtspflicht nicht zu verletzen. So kann immer ein/e Trainer/-in der Halle sein, auch wenn ein Kind die Halle aus irgendeinem Grunde kurzzeitig verlässt.
11. Einzeltraining und Sondertraining werden vorher abgesprochen und angekündigt. Um das „Vier-Augen-Prinzip“ zu wahren, wird das Training ggf. mit Betreuung durch ein Elternteil durchgeführt.
12. In Übungsgruppen mit kleineren Kindern wird mit den Eltern vorher abgesprochen, wie die Trainer/-innen sich bei Toilettengängen verhalten sollen.
13. Vereinsfahrten werden immer von mind. zwei Personen (geschlechterdifferent) betreut. Dies können auch Eltern sein.
14. Übernachtungen: Kinder und Jugendliche übernachten getrennt von dem/den Betreuer/-innen. Bei Fahrten wie bspw. Turnfesten übernachten bei Gruppenübernachtungen in Klassenräumen/Turnhallen nur gleiche Geschlechter (Betreuer/-innen und Kinder/Jugendliche) zusammen.
15. Die Regel für die Kinder und Jugendlichen untereinander lautet: „Ich tue keinem anderen etwas, was ich auch nicht will, das mir angetan wird.“